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Beitrag vom 26.09.2003
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Gerlinde Behrendt
Wird der EU-Beitritt der osteuropäischen Länder den Zugang von Frauen zur politischen Macht verbessern? Das Europa Forum der Friedrich Ebert Stiftung fragt nach
"Backlash" in den Beitrittsländern - Gleichberechtigung muss wieder errungen werden
Im Zentrum der Podiumsdiskussion der Friedrich Ebert Stiftung standen zwei Berichte aus Ungarn und Polen. Frau Dr Katalin Talyigás aus Budapest, Beraterin der ungarischen Ministerin für Gleichstellungsfragen, zeichnete ein pessimistisches Bild der gegenwärtigen Situation. Sie beschreibt die Lage von Frauen vor dem Hintergrund der kommunistischen Vergangenheit:
- von der formalen Gleichberechtigung bei gleichzeitiger familiärer Doppelbelastung
- von der gesetzlich erlaubten Abtreibung bei gleichzeitig nicht vorhandener Aufklärung und Familienplanung
- von hoher Frauenerwerbsquote bei gleichzeitig niedrigeren Frauenlöhnen
- von häuslicher Gewalt, die offiziell nicht existierte und über die Frauen nicht sprachen.
Die ehemalige BRD-Frauenministerin
Dr. Christine Bergmann bestätigte in allen wesentlichen Punkten diese Zustandsbeschreibung für die Frauen der DDR.
Die "Lebenslüge" der Frauen im Sozialismus, nämlich die vollständige Gleichberechtigung bereits erreicht zu haben, erwies sich im Transformationsprozess zur Demokratie als hinderlich. Nur zu deutlich sind die realen Defizite bei der Frauenbeteiligung an der Macht zutage getreten. Die Einbrüche in den sozialen Sicherungssystemen betraf zuerst Kinder und Frauen: Kinderbetreuung, Kinderarmut, Frauen-Arbeitslosigkeit, das Lohngefälle von 15% ist geblieben. Wie mit dem Vergrößerungsglas gesehen wurden jetzt vorher verschwiegene Probleme von Frauen publik: Als Opfer häuslicher Gewalt, als Opfer von riskanter Lebensweise wie Prostitution und Drogenmissbrauch.
Mit dem EU Beitrittswunsch musste die ungarische Regierung zivilrechtliche Gleichheitsstandards in das politische System einführen. Es gibt daher in Ungarn eine Ministerin für Gleichstellungsfragen, ein Büro für Gleichstellungsfragen wurde eingerichtet mit den Schwerpunkten: Geschlechtergleichheit, Probleme ethnischer Minderheiten (Roma), Behindertenfragen, Vernetzung von NGO Aktivitäten. Frauenhäuser wurden eingerichtet.
Dr. Gesine Fuchs von der Universität Hannover untermauert die Ausführungen von Frau Talyigás mit ihren Untersuchungen der Länderstatistiken. Es hat einen "Backlash", einen politischen Rückschritt gegeben. Die Strategie in den meisten Ländern war es, zuerst einmal demokratische Mindeststandards einzuführen - zu denen die gleichrangige Beteiligung von Frauen offensichtlich nicht gehört. Wenn die erfüllt sind, kann man(n) an zivilrechtliche Möglichkeiten - wie den Zugang von Frauen zur politischen Macht - denken. Parallel dazu haben sich Frauen zurückgezogen, mit der Begründung: es gibt zuviel Korruption, Politik ist schmutzig. Der Frauenanteil an den politischen Parteien liegt zwischen einem Viertel und einem Drittel, der Anteil an den Parlamenten zwischen 7 und 26%, weibliche Abgeordnete sitzen hauptsächlich in sozialen oder anderen "frauentypischen" Ausschüssen, während Männer die Wirtschaft besetzt haben. Es gibt bei den politischen Ämtern inzwischen auch in Osteuropa die für uns so typische "Pyramide": je höher die Funktion, desto mehr Männer und desto weniger Frauen.
Aber warum sind es nur so wenige?
Frau Fuchs erläutert das von der feministischen Forschung entwickelte magische Dreieck der Partizipation von Frauen an der Macht:- sozio-ökonomische Faktoren (Ausbildung, Erwerbsquote, gleiche Bezahlung)
- politische Kultur (konservativ/religiöse Werte, politische Normen, Geschlechtsrollenstereotype)
- institutionelle Faktoren (Parteiensystem, Nominierungs-/Wahlverfahren, Karrieremuster, Kommunikationspraxis)
Die meisten Probleme haben Frauen mit dem dritten Eckpunkt: die Karriere- und Rekrutierungsmuster machen es für Frauen umso schwieriger, je höher die zu besetzenden Ämter sind. Frau Fuchs räumt ein, dass die Lage in Osteuropa zunächst durch einen Rückfall in "alte" Muster gekennzeichnet ist, andererseits die Frauen aber schon über politische Erfahrungen verfügen, also keine Neuankömmlinge in der Politik sind.
Die polnische Kommunikationswissenschaftlerin Dr. Agnieszka Graff von der Universität Warschau beschäftigt sich mit den Geschlechtsrollenbildern in den polnischen Medien. Einleitend zeigt sie ein polnisches Wochenmagazin zum Thema "Zukunft der Kinder". Auf dem Titelbild sind vier kleine Jungen abgebildet. Zufall? Nicht nachgedacht? Oder ein Symptom für die Neuverhandlung von Rollenbildern in der polnischen Zivilgesellschaft? Provozierend fragt sie: "Wie sieht denn eine zivile polnische Gesellschaft ohne Frauen aus?" Frauen in Polen haben das Gefühl, dass sie für die Freiheit einen hohen Preis zahlen mussten: Restriktive Abtreibungsgesetze, Zusammenbruch der Kinderbetreuung, hohe Frauenarbeitslosigkeit, Frauen werden zu "Hausfrauen" gemacht, was sie vorher nicht waren. Anhand eines Filmclips aus einem polnischen Sciencefiction Film zeigt Frau Graff, dass der Kommunismus als Feministische Herrschaft dargestellt werden soll, aus dem die Männer aufgebrochen sind, weil sie sich unfrei und unmännlich fühlten. So wird versucht, den Begriff "Gleichheit" als totalitäre Vergangenheit abzutun, Unterschiede werden wieder betont und alte Geschlechterstereotype als neue Errungenschaften "verkauft".
Frau Graff räumt ein, dass die Lage so schlecht nicht ist, es gibt Feministinnen in Polen, Frauen nehmen ihre Rechte durchaus wahr, nur soll mit solchen Bildern versucht werden, den öffentlichen Diskurs im Sinne der katholischen Kirche zu beeinflussen und Frauen zu entmutigen.
Ist die politische Beteiligung von Frauen in der EU insgesamt eine Erfolgsstory?
Lissy Gröner, Frauenpolitische Sprecherin im Europa-Parlament, gibt zu, dass es zu einem Backlash kommen kann und der Frauenanteil an den Parlamentariern sinkt, wenn die osteuropäischen Staaten in die EU aufgenommen werden. So schicken z.B. Malta, Lettland und Slowenien Delegationen mit Beobachterstatus ins EU Parlament - ohne eine einzige Frau. Sie verweist aber darauf, dass auch unter den jetzt existierenden EU Mitgliedsländern erhebliche Unterschiede in den Frauenquoten bestehen, sie sind katastrophal niedrig in Italien und Großbritannien und traditionell eher hoch in Skandinavien und mittlerweile auch in Deutschland. Schlecht ist es auch, dass der Verfassungskonvent, der über eine neue europäische Verfassung abstimmen soll, nur aus 17 Frauen von insgesamt 105 Mitgliedern besteht. Insgesamt besteht aber der Konsens, dass Geschlechtergleichheit als europäischer Wert verankert und "Gender Mainstreaming" in die Verfassung aufgenommen wird.
Frau Görner hat mit einer Frauendelegation "Kandidatenländer" besucht und dort in Diskussionen herausgefunden, dass zwei Themen dominierend sind: in erster Linie Arbeitsmarktprobleme, dann aber auch die tabuisierte häusliche Gewalt, über die erst allmählich öffentlich als politisches Problem diskutiert wird.
Dennoch sind die Aussichten nicht so schlecht: Die Frauen sind gut ausgebildet und nehmen am Erwerbsleben teil. Sie dürfen nur nicht nachlassen, politischen Druck auf die Parteien auszuüben und auf die Nominierungsverfahren zu politischen Positionen auch tatsächlich Einfluss zu nehmen. Rückzug aus der Politik darf keine Strategie der Frauen werden!
Weitere Informationen unter: http://www.fes.de Friedrich Ebert Stiftung
http://www.europarl.eu.int/committees/femm_home.htm Frauenausschuss des Europa-Parlaments